Unsichtbares Kino

2016, Nylon, LED, MDF, Electronik, Kamera, Single Board Computer, TV, Variable Größe

Denk Figur Kino: “Unsichtbares Kino” von Bernd Oppl

Dass nicht wir die Filme, sondern die Filme uns ansehen, ist eines dieser immer wieder fallen gelassenen Poetisierungen des Kinos, wie sie in der Cinephilie weit verbreitet sind. Man liest sie, vielleicht findet man sie spannend genug, um immer wieder darüber nachzudenken, aber manchmal bleiben sie – das mag mehr an der nachdenkenden Person liegen als an der spezifischen Eigenart der Poetisierung – leer. So jedenfalls verhielt es sich in diesem Fall bis ich die noch bis 8. Oktober in der Galerie Krinzinger zu sehende Ausstellung mit Arbeiten von Bernd Oppl besuchte.

Gleich als erstes nämlich blickt man in ein Kino – genauer noch müsste man sagen, in das Model eines Kinos, ca. 30×40 cm groß, auf Augenhöhe angebracht. Man sieht den komplett in schwarz gehaltenen Innenraum, die leeren Sitzreihen, das Projektionslicht am hinteren Saalende. Der Saal erinnert nicht nur an das “Unsichtbare Kino” des Österreichischen Filmmuseums, das Werk heißt auch so: Unsichtbares Kino.

Man blickt aus der Perspektive der Leinwand, man ist für einen Moment die Leinwand. Sehend versinkt man in einem erschreckend leeren, dunklen, ein wenig auch unheimlichen Raum, der – davon zeugen die Sitze – gebaut wurde, um mit Leben gefüllt zu sein. Für einen kurzen Moment durchzuckt einen auch der Gedanke, dass man jetzt “bigger than life” ist und auf das kleine, unbedeutende Leben in Miniatur blickt. Auf der anderen Seite der Galeriewand befindet sich ein Bildschirm, auf dem man dank einer leichten Zeitverzögerung sich selbst dabei betrachten kann, wie man in den Saal blickt. Das, was man zuvor für die Simulation des Projektorlichts gehalten hat, erweist sich nun als Beleuchtung für die Kamera, die aus der Perspektive des Projektors den Saal filmt – Projektor und Kamera in einem, wie bei den Lumières.

Diese Seite des Werks betont erst einmal wieder die Leere des Raums, der Vordergrund des Bildes ist von leeren Sitzen eingenommen. Zugleich aber wird auch klar, was das heißen könnte, wenn die Filme auf uns blicken: Dass nämlich ihre Augen den Saal abtasten, Sitz für Sitz, von Ecke zu Ecke, dass sie uns suchen. Und dass die Filme sich dabei etwas denken würden – über den Raum, über jede/n Einzelne/n, der/die da sitzt oder eben nicht sitzt, über die Reaktionen, wenn die Leinwand hell wird, über das Verhalten, wenn die Credits laufen. In dieser Anordnung hat man das Gefühl, der Raum gehört den Filmen und wir sind zu Gast.

Der beschriebene Aufbau der Arbeit im Galerie-Raum ermöglicht eine fast filmische Wahrnehmung, in der wir blicken, um danach von außen zuzusehen, wie wir blicken: Schuss/Gegenschuss. Das Modell dieses Kinos verleitet uns im Raum der Galerie dazu, filmisch zu sehen und zu denken. Im Modus eines Films blicken wir von der Leinwand auf das Kino.

Was an allen acht in der Einzelausstellung versammelten Arbeiten zu beobachten ist, ist die überzeugende Verschränkung des Sinnlichen mit dem Konzeptuellen. Beim Betrachten versteht man nicht nur, was die Idee war, man bekommt ein Gefühl dafür, wie das wäre, wenn es so wäre. Wenn die Modelle doch mehr wären als Modelle. Das ist zum einen der reduzierten Klarheit der konzeptuellen Idee zu verdanken, wäre aber auch in der liebevollen, den Modellmaterialien zugewandten Detailverliebtheit zu finden.

In dieser Genauigkeit liegt eine Geste, wird spürbar welchen Stellenwert man dem Modell zuschreiben kann, worin sein Potenzial liegt. Oppls Arbeiten sind nicht einfach “nur” Modelle, sie sind der Versuch, ein Dazwischen sichtbar – also wortwörtlich: von allen Seiten einsehbar – zu machen. Sie nehmen eine Funktion ein, an der Sprache manchmal zu scheitern droht. Sie bauen etwas für uns, um es anders und neu oder vielleicht überhaupt denkbar zu machen: Sie sind nicht Modelle der Welt – das Große im Kleinen, sie sind Modelle für die Welt – materielle Interventionen -, um diese vielschichtiger erlebbar zu machen. Denn das Kino, das Oppl gebaut hat, sieht zwar aus wie ein verkleinertes Modell des Unsichtbaren Kinos, ist aber tatsächlich ein viel weniger spezifisch gefasstes Kino des Unsichtbaren, das denkbar – weil sichtbar – macht, was im Kino nie zu sehen ist.

Alejandro Bachmann